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Handicap Papa

Wohlfühlrelevant, nicht systemrelevant

Die letzten Wochen zehrten an den Nerven. Unser Handicap-Papa-Kolumnist muss sich mal Luft machen. Auch wenn ihm ein Shitstorm gewiss ist.

04. September 2020

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"Ist der Zirkus noch so klein, einer muss der August sein." Getreu diesem Motto bespaße ich Sie, liebe Leser, nun schon seit geraumer Zeit. Ich bin gerne der August. Und manchmal gelingt mir der ein oder andere Satz sogar besser als ein Pitch aus 50 Metern. Vor allem aber: Das Schöne am Kolumnen schreiben (zumindest auf Golf.de) ist, dass mir hier keiner reinredet. Gut, mancher von Ihnen wünscht sich angesichts meines mäandernden Gelabers sicher auch mal eine gestrenge Chefredaktion. Und nach dieser Kolumne vielleicht sogar erst recht. 

Denn heute möchte ich mal feucht durchwischen. Und zwar durch die Social-Media-Timelines und Gedankengänge einiger deutscher Golfer. Mir ist schon klar, dass ich im Anschluss meine Maske nicht wegen Corona-Viren, sondern wegen eines veritablen Shitstorms anlegen sollte. Aber als regelmäßige Leser dieser Kolumne wissen Sie, dass ich mich mit Windelinhalten besten auskenne.

Eigentlich…

Ja, eigentlich wollte ich eine Jubel-Kolumne verfassen. Denn just seit dieser Woche haben die Golfplätze in unserem Bundesland wieder geöffnet. Doch ich kann die Eindrücke der letzten Wochen nicht einfach so abschütteln. Meine liebe Kollegin Petra Himmel beschreibt es in ihrer aktuellen Kolumne so: "Der Golfsport droht an manchen Ecken und Enden völlig das Maß zu verlieren - und die Besinnung." Ich möchte in die gleiche Kerbe schlagen und es mit einem bäuerlichen "Das geht bzw. ging mir auf den Sack!" ausdrücken. 

Da ignorierten einige Golfer ganz bewusst Platzsperrungen, drehten ungerührt ihre Runden - und ließen sich hinterher von der renitenten Fangemeinde auf diversen Social-Media-Kanälen feiern. Wer dieses Verhalten monierte, wurde wahlweise als "mittrottendes Schaf" oder als "obrigkeitsgläubig" verunglimpft. Obendrein quollen die Timelines über vor aggressiven Forderungen nach Golfplatzöffnungen. Und manche Verantwortliche legten sich bei der Politik für den Golfsport (also Lockerungen) ins Zeug, als würde es um ein neues Atomabkommen mit dem Iran gehen. 

Und überall waberte der Geist verschwurbelter Verschwörungstheorien mit einher: So ziemlich jede Diskussion über Lockerungen bei Individualsportarten endete irgendwann bei der "angeblichen Impfpflicht", dem "Überwachungsstaat", der "Hygiene-Diktatur" oder beim allseits beliebten Klassiker "Die-da-oben-führen-uns-doch-nur-an-der-Nase-herum". Ach ja, Bill Gates‘ (übrigens begeisterter Golfer!) Pläne zur Versklavung der Menschheit durch die Schaffung eines weltumspannenden Impf-Imperiums durften freilich auch nicht fehlen.

Endlich ins Autohaus!

Liebe Leute! Auch wenn wir mal die Verschwörungstheoretiker außen vorlassen - denn tatsächlich ist ja nicht jeder Golfer, der mit den Hufen scharrt(e) ein Anhänger des Dinkel-Mullahs Attilla Hildmann: Golf ist wohlfühlrelevant. Aber ganz sicher nicht systemrelevant. 

Es freut mich ja, dass ich nun mit meinen Kindern in den Biergarten, ins Auto- oder Möbelhaus gehen kann - oder in die Geschäfte, ja sogar wieder auf den Golfplatz. Auch toll, dass ich mit ihnen bald wieder Fußball gucken kann. Aber wissen Sie was? Das interessiert die mal ganz genau: Null.

Sie vermissen ihre Freunde, die Klassenkameraden und Spielgefährten in der Kita. Unsere Tochter will wieder in die Schule, die zum Glück kommende Woche (wohlgemerkt nach den Golfplätzen) wieder für sie geöffnet hat. Unser Sohn schimmelt seit sieben Wochen ohne Kita-Besuch vor sich hin - ohne Besserung in Sicht. Und meine Freundin und ich sind mit den Nerven am Ende. Klar, eine Runde Golf zur Entspannung würde helfen - aber wie organisieren, wenn Kita und Schule geschlossen sind? Und mal ganz ehrlich, in Deutschland gibt es mehr Eltern mit diesen Problemen als Golfer, die für einen begrenzten Zeitraum auf ihr Hobby verzichten müssen. 

Golf-Salafist und Vater

Ja, auch im Golfbereich gibt es Menschen, die beruflich von den Lockdown-Maßnahmen betroffen sind - das ist auch großer Mist. Aber ich bin ja nun mal nicht nur Golf-Salafist, sondern auch Vater. Und diese Kolumne heißt Handicap Papa. Ganz in diesem Sinne, würde ich mir bei allen Diskussionen um unseren Lieblingssport wünschen, dass hier einige etwas Drive rausnehmen. Leidenschaft ja. Aber bitte immer mit dem Blick nach rechts und links für jene (nicht nur Eltern), die im Moment ganz andere Probleme haben, als den nächsten Pitch butterweich an den Stock zu legen.

So, das musste mal raus. Feuer frei für den Shitstorm. Und das nächste Mal hier wieder alles in lustig. Versprochen.

Fabian Kendzia

Fabian Kendzia
Handicap-Papa-Kolumnist

I Alter: 44 Jahre I Wohnort: Erfurt, Thüringen I festangestellt in einer Werbeagentur I Familienstand: Freundin, 2 Kinder

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