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Menschen

In jeder Krise steckt eine Chance

Bernd Ritthammer - 33-jähriger Profi auf der Tour und Familienvater. Ein Porträt.

12. November 2020

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Seit 14 Jahren ist Bernd Ritthammer Golfprofi. Mal lief es gut, mal weniger gut. So ist das im Leben, auch in dem eines Golfsportlers. Wie wohnt eigentlich so ein Golfprofi? Viele denken bei Golf und Profi sofort an Villa, Pool oder dicke Autos. Alles nur Klischee. Bernd Ritthammer, 33-jähriger Franke, lebt mit Frau und Sohn in einer Doppelhaushälfte in Aichach. Er bügelt, wäscht Geschirr, wickelt oder sitzt einfach mal nur auf der Couch und schaut Masters. Wie ist das, wenn man als Tour-Pro Woche für Woche überall in der Welt sein Geld verdienen muss und gleichzeitig Familie und Freunde nicht vernachlässigen möchte? Ein Porträt.

Ein Doppelhaus in Aichach. Auf dem Klingelschild steht "Ritthammer". Hier wohnt eine ganz normale, junge Familie. Ganz gewöhnlich ist das nicht, wenn der Papa Woche für Woche im Flieger sitzt und um Birdies kämpft, damit die Kasse stimmt. Bernd Ritthammer hat zu Hause eine Art Schaukasten. Darin sammelt er Actionfiguren. Ja - Actionfiguren. Etwas weiter hängt ein Bild von St. Andrews. Einmal auf den großen Bühnen dieser Welt ein Turnier gewinnen. Das wär's. Bernd Ritthammer ist jetzt 33 und schon seit so vielen Jahren als Golfprofi unterwegs. "Dann sitzt du auf der Couch und siehst Tiger das Masters gewinnen. Da denkst du dir schon 'Ich will auch'".

Dinge haben sich geändert im Leben des gebürtigen Nürnbergers. Auf dem Boden macht Sohn Jos seine ersten Schritte. Bernd Ritthammer war nie der Typ, der Golf über alles andere stellte, sich abkapselte und für den Sport alles opferte. "Ich brauche eine Homebase, ein Zuhause, wo ich abschalten und Kraft tanken kann." Hier in Aichach geht das. Zu viel gegrübelt habe er in den vergangenen Jahren. "Ich habe mich zu sehr mit meinen Schwächen und den Stärken der anderen beschäftigt." 2016 war es ganz gut gelaufen für ihn. Drei Siege auf der Challenge Tour hievten ihn in Liga eins. Die Tourkarte konnte er aber nicht halten.

"Bisher war es ein Markenzeichen von mir, dass ich nie gut in die Saison gestartet bin." Von Januar bis Mai könne man ihn eigentlich vergessen. Was auch daran lag, dass er nie so richtig das perfekte Wintertraining strukturieren konnte. Vielleicht störte auch der ständige Wechsel zwischen den Wettbewerben. Die European Tour startet früh im Jahr. Da gibt es eigentlich nur eine kurze Pause zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar. Auf der Challenge Tour passiert dagegen zwischen November und April so gut wie gar nichts. Zuletzt, beim Aphrodite Hills Showdown auf Zypern (Foto oben: Getty Images), schnupperte er an seinem ersten Sieg auf der European Tour und landete in den Top Ten.

"Ich bin sportlich noch nicht da, wo ich hin will", sagt er. Aber Bernd Ritthammer hat Ziele. Und inzwischen Lösungen, wie es funktionieren kann, privat wie beruflich. Die Familie gibt ihm Halt, Kraft und zeigt ihm vor allem, was wirklich wichtig ist im Leben. Natürlich muss er Geld verdienen. Aber den Druck haben viele Menschen, egal ob Golfprofi oder nicht. So ein wenig hat man das Gefühl, er ist in einem Prozess. Eine Veränderung, die ihn reifer macht, die dem früheren Grübler Bernd Ritthammer dazu bringt, wieder mehr Spaß an den kleinen Dingen des Lebens zu finden - und Spaß am Golf. Dann sollten die Ergebnisse automatisch kommen. Für den Rest der Saison hat er sich einiges vorgenommen. Und wenn es nicht klappt, bricht die Welt nicht zusammen. Dann haben ihn Freunde und Familie genauso lieb.

"Wenn du zwar immer mal wieder den Cut schaffst, dann aber 30. oder 40. wirst, fragst du dich schon, was das Ganze hier eigentlich soll", sagt Bernd Ritthammer. Besonders einschneidend sei das Turnier Ende der Saison 2018 im spanischen Valderrama gewesen. "Ich habe auf den letzten neun Löchern sieben über gespielt. Da musste der Frust raus, ich habe alles in Frage gestellt. Damals hat mein Vater, der zufällig dabei war, alles abbekommen." Vielleicht war das eine Art Wendepunkt im Leben des Golfers Bernd Ritthammer, der wenige Tage zuvor Papa geworden war. Auf der Q-School wenig später platzte nämlich der Knoten. Souverän für die Final Stage der Qualifying School qualifiziert, absolvierte Bernd Ritthammer den Marathon über sechs Runden eindrucksvoll mit 21 unter Par (65, 70, 69, 69, 65, 69), schrammte knapp am Gesamtsieg vorbei und hatte das Ticket für 2019 in der Tasche. Insofern gilt auch für einen Golfprofi: In jeder Krise liegt eine Chance. Man muss sie nur sehen.

Und jetzt? Wie wird das weitergehen beim Papa und Tourprofi Bernd Ritthammer? Selbstbewusster will er sein und nicht mehr so häufig grübeln. "Es geht darum, am Tee zu stehen und zu sagen 'Hey, mich müsst ihr erst mal schlagen'"! Man müsse sich seine eigene Realität erschaffen. Schluss mit dem Leben des Fahrstuhl-Profis, der zwischen Challenge und European Tour pendelt. Den negativen Vibe will Bernd Ritthammer abschütteln, seinen eigenen Weg finden. Oliver Kahn sagte mal: "Wir brauchen Eier!" Natürlich müsse die Technik passen, aber vieles spiele sich im Golf doch in der Birne ab. Bernd Ritthammer benutzt für seine Umstellung zu mehr positiver Energie ein schönes Wort: Gedanken-Hygiene. Er wolle mehr filtern, "was lasse ich rein und was nicht". An Wille und Begeisterung für seinen Sport fehlt es ihm bestimmt nicht. Aber vielleicht stand ihm in den vergangenen Jahren sein Perfektionismus im Weg.

Effizienz ist das Stichwort, auf dem Platz genauso wie am Wickeltisch. Ihm sei auch klar, dass er kein Tiger Woods mehr wird. Aber er sieht auch keinen Grund, warum er in den nächsten zehn Jahren nicht auf höchstem Niveau spielen könnte. Alles eine Frage der Einordnung, der Gelassenheit, die er plötzlich an den Tag legt. Auch wenn mal etwas schief geht. Dann bleibt er sachlich und grübelt nicht mehr wie früher, als ein schlechter Schlag der Anfang einer ganzen Geschichte war. "Dabei ist ein schlechter Schlag einfach nur ein schlechter Schlag - mehr nicht", sagt er. Das musste auch er erst lernen. Er habe sehr viel reflektiert in den vergangenen Monaten. "Und ich glaube, ich habe einen neuen, guten Weg gefunden." Hunger hat er immer noch, will hoch hinaus. Was wäre Bernd Ritthammer, wenn er nicht Golf-Profi geworden wäre? Das verrät er uns: "Astronaut".

Der geteilte zweite Platz bei der Porsche European Open 2019 war sein bislang bestes Ergebnis. Ein Top-Resultat, aber eben noch kein Sieg auf der großen Tour. Den hat er noch auf der Agenda. Wenn er dann wieder von einem Turnier nach Hause kommt und wieder auf dem Boden ist, wird er auf der Terrasse sitzen, die Nase in die Sonne halten und von Augusta träumen. Das Golfequipment haben die Ritthammers im Keller verstaut. Auf dem Wohnzimmerboden liegen Spielzeug und Kinderbücher. Sohn Jos wächst heran. In der Corona-Zwangspause hat Papa Bernd seinen Filius häufiger gesehen als sonst. Die junge Familie wird irgendwann vielleicht größer. Wer weiß das schon. Die Dinge sind gut so, wie sie im Moment sind.

Steckbrief Bernd Ritthammer:

  • geboren am 18. April 1987 in Nürnberg
  • aufgewachsen in: Wassertrüdingen
  • Größe: 1,82 m
  • Gewicht: 81 kg
  • Wohnort: Aichach
  • Familie: verheiratet, ein Sohn
  • Pro seit: 2006
  • Vorbilder: Roger Federer, Tiger Woods
  • Lieblingsgolfplatz: Heritage Golf Club Mauritius, Golf Son Gual Mallorca
  • Lieblingsturnier: BMW International Open, Abu Dhabi HSBC Champions
  • Turniersiege: NBO Golf Classic Grand Final 2016 (Challenge Tour), Volopa Irish Challenge hosted by Mount Wolseley Hotel Spa and Golf Resort 2016 (Challenge Tour), Made in Denmark Challenge 2016 (Challenge Tour)
  • Beste Platzierung European Tour: 2. Platz Porsche European Tour 2019
     

Thomas Kirmaier

Thomas Kirmaier
Freier Redakteur

Früher Eishockey, jetzt Golf. Arbeitet als freier Redakteur u.a. für den Deutschen Golf Verband. Golferische Homebase: Bad Griesbach.

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